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Bock auf den Job?!

Alex über die Selbstbestimmungstheorie im Job

Warum sich ein Job gut anfühlt – oder auch nicht.

Was dich in diesem Artikel erwartet:
  • Wie intrinsische Motivation funktioniert
  • Was Unternehmen tun können, um Jobs attraktiv zu gestalten
  • Was es für DICH braucht, damit sich der Job gut anfühlt

Warum tun wir, was wir tun? Die Psychologie weiß es: unsere Grundbedürfnisse sind der wahre Treiber hinter unserem Handeln. Wenn wir es auf Dauer nicht schaffen, diese psychologischen Grundbedürfnisse zu stillen, werden wir unzufrieden oder sogar mental krank. Unsere mentalen Bedürfnisse sind aber nicht nur Risiko, sondern vor allem auch eine Chance: denn wenn wir unsere Arbeit bewusst gestalten, haben wir die Möglichkeit, ein erfülltes und gesundes Arbeitsleben zu erleben.

Die Grundbedürfnisse

Hunger, Durst, Sicherheit, Sex – unsere biologischen Motive sind uralt. "Motivation 1.0" nennen Psychologen diese Grundlage unserer Handlungsbereitschaft. Solche Antriebe sind es, die uns in Gang bringen. Der "Motivation 2.0" haben wir dem wirtschaftlichen Aufschwung der letzten zwei Jahrhunderte zu verdanken: Es ist unsere Reaktion auf Belohnung und Bestrafung, der Mechanismus „Zuckerbrot und Peitsche“. Anfang des 20. Jahrhunderts stellte der Amerikaner Frederick Winslow Taylor, Begründer der Arbeitswissenschaft, fest: "Der einzige Weg, Menschen dazu zu bringen, Aufgaben zu erledigen, besteht darin, ihnen die Arbeit mit angemessenen Anreizen schmackhaft zu machen und sie dabei genau zu überwachen." Heute weiß die Forschung: Taylor hatte recht – zumindest zum Teil. Tatsächlich funktionieren äußere Anreize vor allem bei sogenannten algorithmischen Aufgaben, bei denen ein einziger Pfad zur Lösung führt (z.B. Fließbandarbeit). Bei heuristischen Aufgaben hingegen, die neuartige, kreative Lösungen erfordern, schaden extrinsische Motivationsfaktoren. Denn sie untergraben die "Motivation 3.0", die stärkste von allen: die intrinsische Motivation. Daniel Pink, Autor des Sachbuchs Drive, beschreibt sie als "unser angeborenes Bedürfnis, unser Leben selbst zu bestimmen, zu lernen und neue Dinge zu erschaffen sowie uns selbst und unserer Umwelt Gutes zu tun".

Intrinsisch Motivierte haben ein höheres Selbstwertgefühl, bessere soziale Beziehungen, sie lernen schneller, sind kreativer, produktiver und glücklicher. Die Krux: Werden Menschen für eine interessante Aktivität plötzlich belohnt, schwindet ihr Interesse an der Aktivität. Einen Ausweg bietet die Selbstbestimmungstheorie der amerikanischen Psychologen Richard Ryan und Edward L. Deci.

Die Selbstbestimmungstheorie benennt drei psychische Grundbedürfnisse als Basis intrinsisch motivierten Handelns: Wenn Menschen in einer Umwelt leben (oder arbeiten), die sie als unterstützend wahrnehmen, handeln sie so, dass sie ihre grundlegenden Bedürfnisse nach Bindung, Autonomie und Kompetenz erfüllen, was wiederum zu psychologischem Wohlbefinden und Gesundheit führt. Diese Grundbedürfnisse sind universell menschlich, ebenso wie die Tendenz, sich zu entwickeln, zu wachsen und neue Erfahrungen zu integrieren. Ein solcher Reifungs- und Entwicklungsprozess findet jedoch nicht isoliert statt, sondern immer im Kontext der sozialen Umwelt.

Bindung: Dieses Grundbedürfnis bezieht sich auf das Gefühl der Zugehörigkeit. Es geht darum, sich mit anderen verbunden zu fühlen, vertrauensvoll im Austausch zu sein, für andere da zu sein und Fürsorge zu erleben bzw. zu geben. Das Gegenteil von Bindung ist Isolation und das Gefühl, ausgegrenzt zu sein. Das Grundbedürfnis nach Bindung wird unterstützt durch menschliche Wärme, Empathie und Akzeptanz.

Kompetenz: Das Grundbedürfnis nach Kompetenz umfasst Selbstwirksamkeit und Vertrauen in das eigene Können. Es ist mit der Erfahrung verbunden, dass das eigene Handeln Wirkung erzeugt. Das Gegenteil von Kompetenz ist erlebte Hilflosigkeit. Das Grundbedürfnis nach Kompetenz wird unterstützt durch optimale Anforderungen – weder zu leicht noch zu schwer – und unterstützendes Feedback.

Autonomie: Dieses Bedürfnis besteht darin, „Herr seines eigenen Handels“ zu sein, selbstbestimmt zu entscheiden und im Einklang mit inneren Werten zu handeln. Autonomie ist abzugrenzen von völliger Unabhängigkeit. Menschliches Handeln erfolgt immer in sozialen Bezügen (z.B. einem Team), die Abstimmung und Kompromisse erfordern. Das Gegenteil von Autonomie ist Fremdbestimmung. Das Grundbedürfnis nach Autonomie wird unterstützt durch die Gelegenheit, frei zu entscheiden, und die Möglichkeit, den Weg zum Ziel zu wählen.

Daniel Pink nennt in seinem Bestseller „Drive“ noch ein weiteres psychologisches Grundbedürfnis: Purpose. Pink betont, dass die Mitarbeitenden vor allem dann zufrieden sind, wenn sie einen Sinn und eine Bedeutsamkeit in ihren Aktivitäten oder im Zweck der Unternehmung sehen. Das Bedürfnis nach sinnstiftender Arbeit zeigte sich z.B. auch in der Xing Gehaltsstudie 2019: Jeder zweite Arbeitnehmer würde für mehr Sinn im Job ein geringeres Gehalt akzeptieren.

Prinzipiell kann jeder Job ein Gefühl von Bedeutsamkeit geben. Ein Beispiel dafür ist die Reinigung & Hygiene in Krankenhäusern. Wenn das Reinigungspersonal nicht gründlich arbeitet, könnte dies verheerende Folgen für die Patient:innen haben.

Es gibt grundsätzlich keine guten oder schlechten Berufe. Inwieweit die Bedürfnisse erfüllt werden, hat sehr viel mit uns selber, aber vor allem auch mit den Rahmenbedingungen zu tun, in denen wir agieren. Schauen wir uns zum Beispiel diese typischen Gründe für Frustration am Arbeitsplatz an:

  • „Mich langweilt es jeden Tag das gleiche zu machen“ (Kompetenzbedürfnis)
  • „Es nervt mich immer nur Anweisungen zu folgen“ (Autonomiebedürfnis)
  • „Mein Chef erkennt meine Arbeit nie an“ (Bindungsbedürfnis)
  • „Ich empfinde meine Arbeit als sinnlos“ (Purpose)
  • „Ich werde schlecht bezahlt“ (Extern)

In vier von fünf Fällen könnte die erlebte Frustration auf eine unzureichende Befriedigung der Grundbedürfnisse zurückgeführt und leicht beeinflusst werden. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass die Grundbedürfnisse zwar für jeden Menschen relevant sind, allerdings bei jedem auch etwas anders ausgeprägt sind.

Selbst-Test:

Zur Veranschaulichung kann dafür die Metapher von „Fullständen“ genutzt werden. Stell dir vor, jedes dieser Gläser steht für eines der vier Bedürfnisse. Du kannst dich zunächst fragen, welche Wichtigkeit das jeweilige Bedürfnisse für dich hat (zum Beispiel im Arbeitskontext): also wo der „Eichstrich“ liegt. Ist dir beispielsweise der Austausch mit Kolleg:innen besonders wichtig (Verbundenheit) oder legst du großen Wert auf die Freiheit, dir die Arbeit selbst einteilen zu können (Autonomie). Zeichne den Eichstrich jeweils in die Gläser ein. Im nächsten Schritt kannst du an deine aktuelle Beschäftigung (oder eine vergangene) denken und dich fragen, in welchem Umfang deine Bedürfnisse befriedigt werden. Ist das Glas gut gefüllt oder gibt es ein Delta zwischen Ist-Zustand und Soll-Zustand? Falls du aktuell keine Beschäftigung hast, kannst du diese Übung auch nutzen, um dich zu fragen, was dir bei einem Job besonders wichtig ist. Was brauchst du, um dich wohl zu fühlen?

Kleines Gedankenspiel:

Sicherlich gibt es Tätigkeiten, die einfach gemacht werden müssen und bei denen Menschen primär durch externe Anreize motiviert werden. Vieler dieser Tätigkeiten werden allerdings früher oder später durch den technologischen Wandel obsolet. Zudem führen der demographische Wandel sowie eine höhere Akademikerquote zu neuen Ansprüchen an die Arbeit. Es ist also nicht zuletzt der oft zitierte „War for Talent“, also der Kampf um talentierte Mitarbeiter:innen, der Unternehmen dazu veranlasst ihre Gestaltungsmöglichkeiten stärker zu nutzen. Die richtigen Rahmenbedingungen lassen Menschen wachsen, kreativer und engagierter sein und bieten so letztendlich auch einen Wettbewerbsvorteil für Unternehmen. Was oft unter Schlagwort dem „New Work“ summiert wird ist also ein ernstzunehmender Entwicklungstrend mit betrieblicher Rationalität. Denn im Mittelpunkt der New Work Debatte steht schließlich seit den 1980er Jahren die Frage, was der Mensch für ein gutes Leben braucht und wie wir Arbeit in Einklang mit unseren Bedürfnissen gestalten können. Die New Work Bewegung verändert dabei die Rahmenbedingungen enorm und bietet sowohl Chancen als auch Herausforderungen für die Befriedigung der Grundbedürfnisse.

New Work Säulen
  • Flexibilisierung von Arbeitszeit und Ort
  • Selbstbestimmung & Selbstorganisation
  • Flache / Keine Hierarchien
  • Fokus auf Sinnhaftigkeit

In der öffentlichen Diskussion wird New Work dabei häufig als „Wohlfühl-Oase“ für „Digital Hipster“ betitelt und als irrelevant für die breite Masse bezeichnet. Dabei beschränken sich die Konzepte keineswegs auf Startups oder die Tech-Industrie. Ein Beispiel dafür ist die Bäckerei Leonhardt aus Baden-Württemberg, mit ihrem selbst entwickelten Arbeitszeitmodell, das in der Branche neuartig ist. Es beinhaltet flexible Arbeitszeiten, höchstens Fünftagewoche, zeitversetzte Schichten und einen Wunschdienstplan, der die Freizeitplanung der Mitarbeiter:innen berücksichtigt. „Wer fähige Mitarbeitende haben will, muss sich auch danach richten, wie sie arbeiten beziehungsweise tätig sein können. Die gegenseitige Wertschätzung ist uns immens wichtig“, sagt Inhaber Steffen Leonhardt. Deshalb wollten sie weg von der Nachtarbeit und backen ihre Waren nun auch tagsüber, was sich durch die besondere Frische sogar als Wettbewerbsvorteil erwiesen hat. Grundsätzlich gibt es in der Bäckereibranche einen Fachkräftemangel. Trotzdem schaffen es die Leonhardts mit ihrem Konzept, qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen. Neben der erhöhten Autonomie und Verbundenheit versucht man das Kompetenzbedürfnis der Mitarbeitenden durch regelmäßige Weiterbildungen zu befriedigen. Andere Betriebe testen „New Work Methoden“, indem sie beispielsweise Hierarchien auflösen oder die Gehälter der Mitarbeitenden transparent machen. Wenn man noch einmal einen Blick auf die psychologischen Grundbedürfnisse wirft, merkt man schnell, dass all diese Maßnahme genau darauf einzahlen.

Schöne, neue Arbeitswelt also? Nicht nur, denn natürlich bringt die neue Arbeitswelt auch neue Herausforderungen mit sich. So erschwert Remote Work durch die physische Distanz zum Beispiel die soziale Eingebundenheit. Nebenwirkungen der Digitalisierung und von New Work Methoden sind neue Stressoren wie die ständige Erreichbarkeit („Always on“) sowie die Anforderung nach Selbstmanagement. Wir sind leider nicht immer gut darin, uns selbst Grenzen zu setzen. Was in der Wissenschaft als das „Paradox der Autonomie“ bezeichnet wird, beschreibt die Herausforderungen, die mit der maximalen Flexibilität verbunden werden.

Insgesamt lässt sich also festhalten, dass die Befriedigung der Grundbedürfnisse sehr individuell ist. Was für den einen gut ist, kann für den anderen schlecht sein. Es lohnt sich daher herauszufinden, was du konkret brauchst, um dich wohlzufühlen, und auf dieser Basis den für dich passenden Job und das passende Umfeld zu finden.

Über den Autor

Alexander Ruhland ist Coach & Berater und unterstützt Menschen, Teams und Organisationen in ihren Entwicklungsprozessen.

Als zertifizierter Berater der Positiven Psychologie bietet er seinen Klient:innen wissenschaftlich erforschte Erkenntnisse & Methoden, um ihre Stärken einzusetzen, Ressourcen zu nutzen und Potenziale auszuschöpfen.

Die Positive Psychologie beschäftigt sich sowohl mit Stärken, als auch mit Schwächen, Höhepunkten im Leben von Menschen als auch Krisen. Sie bietet Antworten auf viele Fragen: z.B. wie unter herausfordernden Bedingungen die Zufriedenheit, Gesundheit, Motivation, Sinnhaftigkeit und Leistungsfähigkeit von Menschen erhalten bleiben kann. Die Ansätze sind sowohl auf individueller als auch auf Team- und Führungsebene wirksam und gut in den beruflichen Alltag integrierbar.

Beim hierbleiben. Jobevent am 12. November 2022 in der Festung Mark hält er um 10:45 Uhr auf der Job Café Bühne einen Talk zu dem Thema. Vorbeischauen lohnt sich!